Eine Frau, eine Woche, eine Wüste! Dörte beim Sahara Race 2017 in Namibia

Eine Frau, eine Woche, eine Wüste! Dörte beim Sahara Race 2017 in Namibia

Vom 30.04. bis 06.05. bin ich in der namibischen Wüste unterwegs gewesen. Zu Fuß. Mit einem Rucksack von 12 kg. Freiwillig.

Wie konnte es dazu kommen?

Erstens will ich nach Namibia seit ich 17 bin, zweitens habe ich beim Vortrag in Mülheim vor zwei Jahren Rafael Fuchsgruber kennengelernt, Deutschlands erfolgreichsten Wüstenläufer, und als dieser letzter Jahr vorschlug, sein 10 Jahresjubiläum  bei Ultrarennen mit  dem ‚Little Desert Runners Club‘ zu feiern, indem er anbietet, einige Rookies zu unterstützen, da war ich sofort Feuer und Flamme.

Und habe mich nach reiflicher Überlegung Ende 2016 angemeldet und angefangen, mit Rucksack zu trainieren.

Der Little Desert Runners Club in Camp 1

Der Little Desert Runners Club in Camp 1

Racing the Planet, ein  auf weltweite Etappenrennen spezialisierter Anbieter von  ‚Footraces‘ (denn es wird viel marschiert und nicht nur gerannt) veranstaltet Rennen in den extremsten Wüsten der Erde. Die Sahara ist darunter die heißeste. Das Rennen erstreckt sich über eine Woche, in der in sechs Etappen 250 km zu bewältigen sind, also durchschnittlich 40 km am Tag. Klingt ja machbar, trotz Hitze und Gepäck. Der Haken ist, dass es eine lange Etappe gibt, den sogenannten ‚long march‘, diese geht über 80 km und bis zu 26 Stunden Dauer.

Die Teilnehmer müssen Schlafsack, warme Sachen fürs Camp, ein medizinische Notfallset (ich sag nur Blasenpflaster…..), Taschenlampe, Signalpfeife u.ä. sowie Trockennahrung für eine Woche von mindestens 14.000 kcal mit sich führen, Wasserflaschen mit mindestens 2,5 l Fassungsvermögen und natürlich Elektrolyte. Geschlafen wird in Camps, in Zelten mit sechs bis acht Leuten. Dort gibt es morgens und abends heißes Wasser zur Essenszubereitung, auf der Strecke steht ca. alle 10 km ein Checkpoint, der die Teilnehmer mit Wasser versorgt. Es gibt selbstverständlich auch Ärzte, da Sicherheit groß geschrieben wird.

Also bin ich Ende April über Windhoek nach Walvisbay geflogen und im Hotel in Swakopmund eingetrudelt, hab mir die Reste der Kolonialisierung durch das Deutsche Reich angeschaut (Hotel Zum Kaiser, Bismarck Pharmacy, das Amtsgericht von 1906). Die Rucksäcke werden vor der Abfahrt zum ersten Camp kontrolliert und gewogen, meiner bringt es auf knapp 10 kg, aber da sind die Wasserflaschen noch leer. Da Wasser kostbar ist und extra mitgeführt werden muss, dient es nur der Versorgung, geduscht oder gar Wäsche gewaschen wird nicht. Interessanterweise gewöhnt man sich recht schnell an den Zustand und die Luft ist so trocken, dass es keine große Belästigung ist, mit so vielen Menschen auf einem Haufen zu hocken (ehrlich!). Im Laufe der Woche wird das Gepäck natürlich immer leichter, weil wir uns aus unseren Vorräten ernähren müssen. Mit knapp hundert anderen Verrückten aus zig Ländern fahre ich am 29.04. zum ersten Camp in die Wüste, direkt am Eingang zum Skeleton Coast National Park. Im Zelt Henrietta (alle Zelte heißen nach Schiffen, die im rauen Meer vor der Skeleton Coast strandeten, der Veranstalter beweist Humor) bin ich mit einer

anderen Frau und vier Männern untergebracht. Es ist extrem windig und kalt abends und um 20 Uhr liegen alle in ihren Schlafsäcken.

Die erste Etappe am Sonntagmorgen über 38 km und 500 Höhenmeter führt über ein trockenes Flussbett, durch niedrige Hügel und Täler, durch felsiges Gelände mit rotem und schwarzem Gestein. Die Wüste verändert alle paar Kilometer ihr Aussehen und es kann sein, dass ich um eine Ecke biege und sich plötzlich andere Farben und Texturen der Landschaft vor mir entfalten. Zwischendurch gibt es immer wieder weite, sich öffnende Blicke über viele Kilometer. Die Luft ist klar und sauber, auch in der Ferne Liegendes konturiert und deutlich erkennbar. Und es ist in aller Kargheit und Lebensfeindlichkeit atemberaubend schön! Wir bewegen uns während des Rennens in einem Sperrgebiet innerhalb des Naturschutzgebietes. Hier kommt normalerweise kein Mensch hinein und auch wir müssen strenge Auflagen erfüllen. Keinesfalls darf Müll weggeworfen werden und die Disziplin der Leute ist während des gesamten Rennens in dieser Frage extrem hoch. Ich laufe einen guten Teil der ersten Etappe, gehe zwischendurch stramm zu Fuß und erreiche Camp 2 nach gut sechs Stunden. Alles bestens!

Am nächsten Tag geht es zunächst hügelauf durch felsiges Gelände, über eine geländerlose Brücke, unter der in den Resten eines Flusses ein wenig grün sprießt, über weite graue Ebenen mit hellen Sanddünnen auf ein felsiges Plateau, wo der Wind mal wieder extrem pfeift und senkrechte Rillen in den Felsen meißelt. War ich anfangs noch frisch unterwegs, verlangsame ich das Tempo auf dem zweiten Etappenteil. Dieser letzte Teil der Strecke führt Richtung Meer über weißsandige Hügel, wo Camp 3 in einem Tal geschützt in den Dünen liegt. Es ist jeden Tag und auch jede Nacht sehr windig,

teilweise hebt sich der Zeltboden und meine Füße wippen im Schlafsack. Der Nachthimmel ist jede Nacht klar und so voller Sterne, dass es eine Freude ist, nachts mal raus zu müssen auf eines der Dixieklos (Luxus!) und einen Blick nach oben zu machen, wo unglaublich viele Sternenlichter und die Milchstraße sichtbar sind. Im Schlafsack hören wir das Lachen der Hyänen in der Wüste und sehen auch mal einen Schakal, der ums Camp schleicht.

Etappe 2

Zu Beginn der 3. Etappe spüre ich, dass ich schon zwei Tage in den Knochen habe. Ich habe Kraft, kann aber nicht rennen. No way. Und morgen muss ich fit sein für den Langen Marsch! Also ist der Plan, einen Ruhetag einzulegen und ich beschließe,  zu marschieren, denn das klappt prima. Die ersten 33 Kilometer gehen am Strand lang. Dieser ist schier endlos lang, unglaublich breit (teilweise geht er nahtlos in die Hinterland Wüste über), feinsandig und toll. Aber das Meer vor der Küste ist immer kalt, mit starken Strömungen und Baden nicht möglich Außer uns Racern ist niemand da. Ich marschiere. Und marschiere.  Zum Heben der Moral dichte ich mir ein Marschlied in dem Nächtens um die Zelte streifende und lachende Hyänen eine zentrale Rolle spielen. Dann führt die Strecke etwas weg vom Strand und es riecht auf einmal streng nach Fisch und nach Verwesung. Unten am Wasser liegen unglaublich viele Robben, in Kolonien über Kilometer verteilt. Spuren führen zum Strand, Wüstenlöwen und Hyänen holen sich hier so üppiges Futter, dass sie großzügig halbe Kadaver für die Schakale übriglassen. Sämtliche (so hoffe ich zumindest) Löwen der Gegend sind mit GPS Sendern ausgestattet  und ein Ranger begleitet das Rennen. Würden sich Tiere der Strecke nähern, so würde er sie verscheuchen. Da es im Landesinneren überraschend geregnet hat sind viele Antilopen dorthin gewandert und haben einen Teil der Raubtiere mit sich gezogen. Das Futter ist für die zurückgebliebenen Fleischfresser  mehr als ausreichend und es interessiert sich kein Löwe für

unseren Trupp ☺   Einmal sehe ich einen Schakal auf einem Sandhügel sitzen und die Läufer betrachten. Soviel Entertainment kriegt der den Rest des Jahres nicht geboten.

Am Robbenstrand

Bei Checkpoint 2 frage ich: How much of this f…ing beach do you still have on offer? – Mal im ernst, Leute: das Konzept des Strandspazierganges habe ich jetzt durch und durch verstanden. – Noch 10 km. Na gut. Checkpoint 3 befindet sich direkt neben dem Wrack der Henrietta und sie sieht echt  nicht gut aus, wie sie da so verrostet im Sand steckt. Die gute Nachricht lautet: Das Terrain ändert sich, es geht ins Landesinnere! Die letzten 10 km werden hart. Nicht, weil ich müde wäre. Meine Beine sind echt gut und ich weiß, ich könnte die halbe Nacht stramm zu Fuß gehen. Es ist der immer selbe Blick, der sich am Horizont abzeichnet. Sand mit Steinen vor meinen Füßen, ich folge mechanisch den rosa Fähnchen, die die Strecke markieren. In der Ferne sehe ich Silhouetten gegen den Himmel, andere Teilnehmer. Sonst ändert sich über anderthalb Stunden eigentlich nichts. Ich nenne diese Ebene das Desperado Plateau und denke an die Niederschlagung des Herero Aufstandes 1905, bei dem Hunderttausend in die Wüste gejagt wurden um dort zu verhungern. Aber ich habe noch immer einen flotten Schritt und überhole andere Mitläufer. Zwar zwackt der Rucksack und die Eintönigkeit auszuhalten kostet mentale Kraft, aber sonst ist es fein. Aber die Schatten werden rapide länger (um 18 Uhr ist es dunkel) und ich will auf keinen Fall anhalten um die Sonnenbrille zu verstauen und die Stirnlampe auszupacken, sondern noch im Hellen im Camp sein. Ich höre es, bevor ich es sehe. Trommeln. Ein schöner Brauch ist, dass jeder einlaufende Teilnehmer, egal, wann er oder sie kommt, mit Trommeln begrüßt wird. Eine Gruppe von drei Japanern, die ich fast eingeholt habe wartet auf mich damit wir in einer Vierreihe gemeinsam durchs Ziel gehen. Es ist 17:45 und ich bin seit dem Start um 8 Uhr  fast zehn Stunden mehr oder weniger Nonstop gelaufen. Abendessen

(Expeditionsfood aufreißen, heißes Wasser draufgießen, Packung verschließen, 10 min warten, auslöffeln – kochen kann so einfach sein…), mit dem Feuchttuch einmal über den Körper wischen – um 19 Uhr liege ich im Zelt. Es ist die erste Nacht warm und das kündigt schon an, was uns für den Langen Marsch erwartet: Hitze. Abartige Hitze. Ich weiß von Teilnehmern der letzten Jahre, dass es

z.B. 2016 auf dieser Strecke maximal 35°C gab, was ja lachhaft ist für einen Wüstenlauf und was ich im Februar in Indien trainiert habe.

Aber als wir am nächsten Morgen um 8 Uhr starten ist es bereits warm – auch nach meinen Kriterien als Dauerfriererin. Ich bin frisch, die Beine sind gut erholt nach einem Tag Laufpause und ich renne auf den ersten Kilometern. Der Plan ist, früh ein wenig zu rennen um Strecke zu machen, die heißen Stunden gaaaanz ruhig zu gehen und am Abend zu schauen, wie flott ich weiterlaufen will bzw.  ob ich mich bei CP 4 mal hinlege. Einige Stunden Karenz haben wir – ab CP 4, den wir bis spätestens 19 Uhr erreicht haben müssen. CP 1 erreiche ich weit vor der Cut-off Zeit und mache mich sofort auf zu CP 2, der bereits nach 8,5 km liegt. Ich muss über Geröll etwas höher steigen und oben auf dem Plateau haut mir ein Wind entgegen, der mich schier atemlos macht. Er ist heiß, die steinige Landschaft heizt sich bereits auf, die Racer vor mir schleppen sich alle langsam voran. Aber 8,5 km sind ja nur gut 2 Stunden zu Fuß, ich trinke mein Wasser, werfe Elektrolyte ein und finde alles erträglich. CP 2 erreiche ich auch wieder weit vor dem Limit. Er liegt neben einem Flusslauf, an dessen Ufern es grün ist (und wo die Crew morgens einen Leoparden vertrieb, aber das erfahre ich erst später). Ich fülle alle Wasserbehälter, so dass ich knapp 3 l mit mir führe (ein Teil davon als Buffer), muss aber noch kurz meinen Schuh ausziehen, weil was am Zeh drückt (dank ReSkin Spezialpflaster, Zehensocken plus zweitem Paar Socken habe ich null Blasen bisher!). Der Wind hat Backofentemperatur und bläst so stark, dass das Zelt wegfliegt, dabei erwischt es mich an der Schulter und am Oberschenkel. Nicht schlimm, aber nun sitze ich in der glühenden Sonne um mich fertig zu machen, keiner kann mir helfen weil alle versuchen, das Dach wieder aufzurichten und ich spüre, wir die Hitze mir zusehends  auf den Kopf knallt.

Trotzdem fühle ich mich gut als ich weitermarschiere und lege langsam aber sicher Strecke zurück. Der nächste CP kommt erst nach 13 Kilometern! Bis dahin muss ich durchkommen um Wasser zu bekommen. Es sind 45° bis 47°C, kein Schatten nirgends, der heiße Backofenwind kommt mir frontal entgegen und ich habe das Gefühl, in Hitze gefangen zu sein. Die Erde atmet Hitze, der Wind atmet Hitze, die Sonne brennt, es gibt kein Ausweichen, keine Pause, nichts. Ich spüre, dass mir übel wird und verlangsame mein Tempo, halte auch mal kurz an. Ruhig bleiben, sag ich mir, mache Akupressur um meinen Kreislauf zu stabilisieren und die Übelkeit zu bekämpfen, Sheetali und Sheetkari Yogaatmung zum Kühlen, setze den LifeTuner auf ‚Beruhigung‘– es wird nicht besser. Also setze ich mich auf einen Stein und hoffe, dass sich alles beruhigt. Ein Teilnehmer der weit hinter mir war, kommt, läuft 15 m an mir vorbei und fragt mich nicht, wie‘s mir geht (das ist tatsächlich das einzige mal, das ich sowas im Rennen gesehen habe, es achten sonst alle sehr aufeinander). Das macht mich so sauer, dass ich beschließe, ihm hinterher zu stapfen. Ich trinke mehr. Inzwischen ist viel Zeit vergangen, die Entfernung zu CP 3 noch ca. 10 km. Ich habe noch gut einen halben Liter Wasser (und Buffer, aber den vertrage ich ja gerade nicht) und müsste, um vor der Cut-off Zeit um 16 Uhr bei CP 3 zu sein, ab jetzt wieder flott laufen, nicht krauchen. Es scheint mir wenig aussichtsreich. Die Zeiten mögen in Anbetracht der Hitze nicht rigide eingehalten werden, aber wie soll ich mit so wenig Wasser soweit kommen? Es kommt Verzweiflung auf und ich denke, dass das nun wohl mein Ausscheiden bedeutet. Trotzdem gehe ich weiter. Langsam, alle paar Meter mache ich Pause, beuge mich nach vorne damit sich die Übelkeit legt, gehe weiter…..es ist ein Elend und ich fühle mich scheiße. Ehrlich.

45° oder 47°C- who cares? Um das Bild voll zu genießen, jetzt bitte den Kopf in den Backofen stecken

Mein Ausscheiden kommt dann in Form eines Begleitfahrzeugs von 4deserts. Der Track auf dem wir laufen, geht nah an der Fahrpiste entlang, auf der immer mal ein Auto kommt um einen Blick auf die Teilnehmer zu haben. Das Gespräch, das ich führe, ist kurz und es ist eigentlich nur eine rhetorische Frage. Ich bin echt im Eimer, meine inneren und äußeren Ressourcen sind erschöpft. Der Moment, in dem ich die Entscheidung treffe raus zu gehen, fühlt sich wie Sterben an, aber direkt danach ist es besser.

Wir fahren die anderen CP’s ab und ich sehe, wie lang die Strecke mit dem heißen Gegenwind noch gewesen wäre und wie mühsam alle sich bewegen. Bei CP 3 treffe ich andere vom Little Desert Runners Club, spreche ihnen Mut zu und sie sind offenbar traurig, dass ich draußen bin, was mich sehr berührt.

Die letzten 60 km bis zum Camp sitze ich im Auto. Wir sehen eine Oryxantilope und zwei Strauße, überholen Rafael und Kirsten, die scheinbar leichtfüßig seit Stunden rennen (sie werden hinterher erzählen, wie viel auch sie gegangen sind und wie sehr sie gelitten und gekotzt  haben). Um 17 Uhr bin ich in Camp 4. Um 17:15 läuft Mo ein, unser haushoher Favorit. Ich bin beeindruckt, dass er die 80 km in 9h 15min geschafft hat – ein Blick in die Streckenbeschreibung und ich sehe, dass die Veranstalter ihn eigentlich 2h eher erwartet haben. Mo heißt eigentlich Mohammed, kommt aus Saudi-Arabien und ist einer der coolsten Läufer, die ich kenne. Er ist zu jedem freundlich, hat Null Starallüren, ist offenbar nach Rennen auch trink- und feierfest und einfach gut drauf. Die anderen ausgeschiedenen Teilnehmer hadern zum Teil sehr mit dem Leben und es tut mir so leid für Mo, dass nur so ein Haufen suizidgefährdeter Depris im Camp ist (im Ernst, ich bin die Einzige, die’s ruhig

nimmt), aber er setzt sich zu uns ans Feuer, reicht Tee rum – Moment mal, Tee? Trinken? Wann war ich das letzte Mal pinkeln? Um 10 Uhr. Ich habe seither Unmengen Wasser getrunken, aber offenbar bin ich so dehydriert, dass meine Niere davon nicht viel mitkriegt. Mist! Ich lege mehr Flüssigkeit nach und um 19 geht’s dann auch mit der Blase weiter. Meine Güte! 9h trocken gesessen. Mo ist es auch, der als erster sagt, dass er noch nie so eine lange Strecke hatte mit diesem Wind, er findet, es sei sein anstrengendstes Rennen. Rafael wird nach seinem Eintreffen (zusammen mit Kirsten, die bei den Frauen führt), fluchen, weil er 2h länger für die 80 km benötigt haben wird als sonst und auch er wird sagen, dass diese Anstrengung beispiellos für ihn sei. Ich solle mir keinen Kopp machen wg. des Ausstiegs versichern beide. Pech. Ich erfahre hinterher, dass manche Blut im Urin hatten während und nach der Etappe und andere bis zu 16 h kein Wasser gelassen haben. Hart.

Ich warte noch, bis die Jungs aus meinem Zelt da sind. Mit Manon rechne ich erst gegen Morgen, dann gehe ich schlafen. Zwischendurch erwache ich, wenn mal wieder zur Begrüßung getrommelt wird, aber ich schlafe eh wenig im Camp und bin trotzdem jeden Morgen frisch. Weil es warm ist lassen wir die Zeltklappen offen und ich sehe immer wieder in den wunderbaren Nachthimmel. Ich bin im Frieden mit mir und der Welt.

Auf dieser Etappe sind außer mir noch 16 Leute ausgeschieden, einige davon sehr erfahrene Wüsten- und Ultraläufer. Die sind so frustriert, dass sie abbrechen und nach Swakopmund zurückgehen. Das kommt für mich nicht in Frage. Ich will ja in der Wüste sein und ich will meine Leute nicht im Stich lassen. Zelt Henrietta ohne mich? Undenkbar!

Die Veranstalter begrüßen meine Entscheidung. Ich werde Volunteer. Der restliche Donnerstag ist Ruhetag. Ich habe Akupunkturnadeln mit und behandle diverse Wehwehchen oder mache auch mal eine Leistungssteigerungsakupunktur (dank an Kollegin Annette Ufermann für diese Tipps!). Es ist heiß und es gibt Sandflöhe. Das ganze Camp verbringt einen hitzeträgen Tag und ich merke, wie die anderen die Frage bewegt, wie sie die nächste 40km Etappe bewältigen sollen.

Ich werde als Unterstützung für CP1 eingeteilt und breche vor Morgengrauen mit dem Team von Dolfen (gesprochen Dolphin) aus Ägypten auf. Endlich bin ich mal zum Sonnenaufgang in der Wüste! In einem seit Jahren trockenen Flussbett bauen wir hurtig unsere zwei Zeltdächer auf.

Dann haben wir massig Zeit bis ab 8:30 die ersten Läufer kommen. Ich setze mich in den Schatten eines Sandhügels und schaue in die Wüste. Auf die Hügel vor mir, den blauen Himmel, die ziehenden Wolken, sehe wie die Farbe sich mit der höhersteigenden Sonne ändert und bin – glücklich. Ich habe das Gefühl, dass die Erde zu mir spricht. Ich habe beim Laufen Momente großen Glücks erlebt, die so intensiv waren, dass sie fast körperlich Schmerzen verursachten. Nun bin ich in einem tiefen Frieden.

Dann kommt die erste Gestalt zum Checkpoint. Meine Aufgabe wird es sein, die Leute ‚hinein zu cheeren‘, sie zu motivieren, zu beklatschen und allgemein zu bestätigen. Meine Peeries freuen sich über meine Unterstützung und bekommen auch deutlich mehr Aufmerksamkeit als andere Teilnehmer. Ich sehe nun jeden Einzelnen, sehe die Erschöpfung, die Freude, Hoffnung – all die Gefühle, die bei so einer intensiven Erfahrung durch die Menschen gehen. Um 10:15 ist der Letzte durch, wir bauen ab und fahren zum Meer, zu unserem letzten Camp.

CP one is ready

Volunteer Beth sitzt mit mir im Bus, sie will wissen, wie ich mich vorbereitet habe, ich sei ja offenkundig in good shape. Alle Freiwilligen sind erfahrene Läufer. Sie selber hat den Lauf aus Madagaskar nur überstanden, weil ihr an den CP’s so viel Mut gemacht wurde, nun ist sie hier um auch selber Unterstützung zu geben. Ich berichte ihr von meinem Training und auch sie ist der Meinung, ich hätte alles richtig gemacht, es sei echt Pech gewesen. Ich weiß das, trotzdem ist es gut, es nochmal und aus kompetentem Mund zu hören.

Bevor wir morgens losfuhren sagte irgendwer was von ‚Duschen‘. Es gibt sie. An der Skeleton Coast, im Campingplatz Terrace Bay, wo unser letztes Camp an einem ewig langen Strand steht. Das Wasser

ist kalt, es kommt nur in einem Rinnsal, ich hab keine Seife mit – aber hey, es ist eine Dusche! Heaven is  a small Beach stretch in Namibia with a shower and good company.

In der einen Woche sind wir gut zusammengewachsen. Im Zelt ist es unkompliziert unter den Leuten. Ohne dass darüber gesprochen wurde, nimmt jeder Rücksicht, leuchtet keinem mit der Lampe ins Gesicht wenn er nachts mal raus muss. Umgekehrt beschwert sich auch keiner, wenn es mal unkomfortabel wird. Wenn ich z.B. im Dunkeln auf allen Vieren zum Zelteingang krabble und dabei über Füße stolpere. Keiner beschwert sich, dass wer zu viel oder zu wenig spricht, schnarcht, sonst was. Jeder darf sein, wie er oder sie ist. Ich fühle mich unendlich frei. Jeder teilt alles. Wenn jemand irgendwas braucht hat es ein anderer und gibt es weiter. Ich meine: Wir haben eine Woche aus unseren Rucksäcken gelebt, das war kärglich – und trotzdem gibt es keinerlei Mangelgefühl.

Sam, die Organisatorin, erlaubt mir, die finale Etappe über 10 km mitzulaufen. Und so ziehe ich am Sonnabend meinen Rucksack an, der nun lächerlich leicht ist und renne nochmal gut eine Stunde über eine sandige und steinige Ebene, weg vom Meer ins Landesinnere.

Kann schon mal passieren: Blasenmanagement im Camp

Das Ziel. Von den 250 Kilometern habe ich 150 absolviert. Nächstes Mal wird’s die volle Strecke sein. Moment mal! – Sagte ich: Nächstes Mal? – Na gut….. ☺

Was würde ich beim nächsten Mal anders machen? Weniger Essen mitnehmen, dafür eine bessere Kamera. Eine wärmere Hose für abends. Der Rest war jetzt schon ziemlich optimiert.

Es gibt warmes Essen, Dosenbier und Medaillen für die Finisher. Auch ohne dieses Ding fühle ich, dass ich Tolles geleistet habe und bin stolz. Drei Busse sollen uns um 11 Uhr abholen, dann wären wir um 15 Uhr im Hotel in Swakopmund und um 19 Uhr soll das Bankett beginnen.

Die Busse sind zu spät los gefahren. Es dauert noch eine Stunde, bis sie hier sind. Es wir windig. Sehr windig. Sandsturmmässig windig. Mein Rucksack bekommt in der folgenden Stunde mehr Sand ab als in den Tagen zuvor zusammengenommen. Hinter uns ist eine Sanddüne, vor uns eine Ebene, kein Schutz, nirgends. Die Busse sind aus Versehen zu unserem vorletzten Camp gefahren. Man bringt uns mit Autos zurück zum Campingplatz, weil wir da windgeschützt sitzen können. Dann kommen die Busse. Um 15 Uhr halten wir an. Ein Bus hat eine doppelte Reifenpanne. Es braucht alle drei Fahrer um das Problem zu beheben. Um 17 Uhr fahren wir weiter. Es gibt kein Wasser im Bus. Keiner murrt. Nach einer Woche Wüste sind alle geduldig. Wäre das hier eine TUI Reise hätten schon alle ihren Anwalt angerufen, so sitzen wir nur und quatschen und dösen und warten. 126 km vor Swakopmund müssen wir noch tanken, durch die viele Rumgurkerei wurde ja vormittags schon so viel Sprit verfahren. Ein paar Leute decken sich an der Tanke ein – und teilen mit anderen, vollkommen selbstverständlich. Ich habe kein Geld, kein Handy, keine Kreditkarte dabei. Macht nix, ich werde versorgt.

Um 20 Uhr erreichen wir unser Hotel. Bevor ich den Wasserhahn der Dusche aufdrehe halte ich einen Moment andächtig inne. Das Wasser fühlt sich wunderbar an. Mit den Sandresten in der Wanne könnte man noch einen Töpferkurs besuchen, denke ich mir.

Das Bankett startet dann um 22 Uhr. Wir haben zwei sehr verdiente Sieger: Mo Foustok und Kirsten Althoff (die mit Rike von MMH  zusammen die Lauftherapeuten Ausbildung gemacht hat).

Was ist das Fazit nach einer solchen Woche? Ein Etappenrennen wie dieses birgt alle Arten von Emotionen, (Grenz)Erfahrungen, das Erleben von Miteinander ebenso wie Einsamkeit, die

Notwendigkeit, immer umzugehen mit dem, was jetzt kommt. Kameradschaft, Miteinander, sich begegnen. Dadurch ist man gut beschäftigt. Zugleich ist man vollkommen frei. Das Leben ist einfach. Aufstehen, Frühstück, laufen, essen, schlafen, fertig ist der Tag. Ich habe mein Handy nicht vermisst.

Was ich vermisse, schon jetzt, ist die Wüste und die Gemeinschaft der Menschen, die ich da getroffen habe und die mir alle ans Herz gewachsen sind. Worauf ich mich freue? – Mal wieder ohne Rucksack und flott zu laufen!

© Dörte Schreinert, 09.05.2017